Johann Wolfgang von Goethe
Seine Gedichte
Der Fischer

Originalzitat des Gedichtes
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor;
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
"Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach, wüßtest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew’gen Tau?"
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
Und ward nicht mehr gesehn.
Wann entstand das Gedicht "Der Fischer"?
Das Gedicht "Der Fischer" wurde 1778 von Johann Wolfgang von Goethe verfasst. Es ist ein typisches Werk der Sturm-und-Drang-Zeit und kombiniert Natur, Mythologie und menschliche Emotionen auf eindrucksvolle Weise.
Worum geht es in dem Gedicht?
"Der Fischer" erzählt die Geschichte eines Fischers, der am Ufer sitzt und von einem Wassergeist verführt wird. Die Stimme des Wassers lockt ihn mit einer Mischung aus Verführung und Sehnsucht, bis er schließlich ins Wasser gezogen wird und verschwindet.
Inhalt / Handlung des Gedichts
Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung des Fischers, der ruhig am Wasser sitzt. Ein Wassergeist, dargestellt als eine feuchte Frauengestalt, steigt aus der Flut empor und beginnt, den Fischer mit ihrer Stimme und ihren Worten zu verführen. Sie preist die Schönheit und das Wohlbefinden im Wasser an und spielt auf die Verlockung der Natur und des Unbewussten an. Am Ende gibt der Fischer der Versuchung nach und verschwindet in den Fluten.
Interpretation
"Der Fischer" thematisiert die Verlockung des Unbekannten und die Macht der Natur. Der Wassergeist symbolisiert das Mystische und die Anziehungskraft des Unbewussten. Das Gedicht kann als Metapher für die Hingabe an die Natur oder für die Gefahr interpretiert werden, den Verstand von Gefühlen überwältigen zu lassen.
Die romantische Darstellung der Natur und die mystische Verführung stehen im Mittelpunkt des Gedichts. Es zeigt die Spannung zwischen rationaler Kontrolle und emotionaler Hingabe sowie die Macht, die das Unbewusste und die Natur auf den Menschen ausüben können.
Reimschema und stilistische Mittel:
"Der Fischer" folgt einem vierzeiligen Strophenaufbau mit einem durchgängigen Kreuzreim (ABAB). Das klare Reimschema unterstreicht die Harmonie und den Fluss des Gedichts, während der Rhythmus die Bewegung des Wassers widerspiegelt.
Goethe nutzt Personifikationen und Metaphern, um das Wasser und den Geist lebendig darzustellen. Die Sprache ist einfach und bildhaft, was die Wirkung der Szenen und die mystische Atmosphäre verstärkt. Die Wiederholung des Anfangsverses ("Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll") rahmt die Handlung ein und betont die Unausweichlichkeit des Endes.