Johann Wolfgang von Goethe
Seine Gedichte
Der Schatzgräber

Originalzitat des Gedichtes
Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt ich meine langen Tage.
Armuth ist die größte Plage,
Reichthum ist das höchste Gut!
Und zu enden meine Schmerzen,
Ging ich einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst du haben!
Schrieb ich hin mit eignem Blut.
Und so zog ich Kreis um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze;
Schwarz und stürmisch war die Nacht.
Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne,
Hinten aus der fernsten Ferne.
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten:
Heller ward’s mit einemmale
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.
Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken,
Und ich dacht‘ es kann der Knabe
Mit der schönen, lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.
Trinke Muth des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens!
Tages Arbeit, Abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.
Wann entstand das Gedicht "Der Schatzgräber"?
Das Gedicht "Der Schatzgräber" wurde 1797 von Johann Wolfgang von Goethe verfasst. Es gehört zu den Balladen des Jahres und thematisiert die Suche nach Glück und Reichtum sowie deren wahre Bedeutung.
Worum geht es in dem Gedicht?
"Der Schatzgräber" erzählt die Geschichte eines Mannes, der von Armut geplagt ist und sich entscheidet, einen Schatz zu suchen, um sein Leid zu beenden. Dabei begegnet er einer mystischen Erscheinung, die ihm eine neue Perspektive auf das Leben und die wahre Quelle des Glücks eröffnet.
Inhalt / Handlung des Gedichts
Das Gedicht beginnt mit der Klage des lyrischen Ichs über Armut und Herzleid. Angetrieben von der Hoffnung, sein Schicksal zu ändern, schreibt es einen Pakt mit seinem Blut und bereitet eine magische Beschwörung vor, um einen Schatz zu finden. Während der dunklen, stürmischen Nacht gräbt es auf dem angezeigten Platz und wird von einem strahlenden Knaben überrascht, der eine Schale voller Licht bringt. Der Knabe fordert es auf, von der Schale zu trinken und lehrt es, dass wahres Glück nicht im Reichtum liegt. Stattdessen offenbart er, dass Geduld, Arbeit und die Balance zwischen Mühe und Freude der Schlüssel zu einem erfüllten Leben sind. Das Gedicht schließt mit der Aufforderung, im Alltag den Wert von Arbeit und Gemeinschaft zu erkennen.
Interpretation
"Der Schatzgräber" ist eine Allegorie für das menschliche Streben nach Glück und die oft falschen Annahmen über dessen Ursprung. Goethe zeigt, dass äußere Reichtümer keinen dauerhaften Frieden oder Zufriedenheit bringen. Stattdessen liegt der wahre Schatz in der Hingabe an das Leben, der Arbeit und den Beziehungen zu anderen Menschen. Der Knabe mit der leuchtenden Schale symbolisiert die Erleuchtung und das Verständnis, das nur durch Reflexion und innere Einsicht erreicht werden kann.
Das Gedicht kann als Kritik an der Jagd nach materiellem Wohlstand verstanden werden, die den Blick für die einfachen Freuden und die Bedeutung von Gemeinschaft und persönlichem Wachstum trübt. Es ist zugleich eine Ermutigung, die wahre Erfüllung in sich selbst und in den alltäglichen Dingen des Lebens zu finden.
Reimschema und stilistische Mittel:
Das Gedicht folgt einem regelmäßigen Reimschema (ABAB) und einer melodischen Erzählstruktur, die die Geschichte flüssig und zugänglich macht. Metaphern wie das "Graben" stehen für die Suche nach Sinn und Glück, während die mystische Erscheinung des Knaben mit der Schale für Erleuchtung und Erkenntnis steht. Die Sprache ist einfach und klar, wodurch die Botschaft universell und zeitlos bleibt. Der Wechsel zwischen Dunkelheit und Licht unterstreicht die Transformation des lyrischen Ichs von Verzweiflung zu Einsicht.