Johann Wolfgang von Goethe
Seine Gedichte
Mignon (Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?)

Originalzitat des Gedichtes
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl?
Dahin, dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl?
Dahin, dahin
Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn!
Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg;
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?
Dahin, dahin
Geht unser Weg; o Vater, laß uns ziehn!
Wann entstand das Gedicht "Mignon (Kennst du das Land …)?"
Das Lied gehört in den Entstehungszusammenhang von Wilhelm Meisters theatralischer Sendung und den Lehrjahren; es entstand Anfang der 1780er Jahre (um 1782/83) und wurde 1795 in den Lehrjahren veröffentlicht.
Worum geht es in dem Gedicht?
Mignon beschwört dreimal das Sehnsuchtsland Italien: Naturfülle, das geheimnisvolle Haus und die gefährliche Bergwelt. Das Anreden-Trio „Geliebter / Beschützer / Vater“ spiegelt ihr komplexes Bedürfnis nach Liebe, Schutz und Führung.
Inhalt / Handlung des Gedichts
In drei Strophen steigert sich die Bewegung vom idyllischen Landschaftsbild über eine innere, traumatische Erinnerung (Haus) zur dramatischen Topographie (Berg). Das „Dahin, dahin“ drängt immer stärker auf Aufbruch.
Interpretation
Das Gedicht verdichtet die deutsche Italiensehnsucht: Italien als Projektionsfläche für Schönheit, Heilung und Herkunft. Gleichzeitig rahmt es Mignons Biographie im Roman und deutet Abhängigkeit und Suche nach Heimat.
Reimschema und stilistische Mittel:
Jede Strophe folgt einem regelmäßigen Bau (meist jambisch, fünfhebig) mit zwei Paarreimen, unterbrochen durch Frage und Anruf („Kennst du es wohl? / Dahin, dahin“). Stilprägend sind Apostrophe, Wiederholungen, Bildfelder Italien/Natur/Gefahr und der refrainartige Ruf.